Ambulantes Flickhandwerk – Einleitung

Das Flicken (…) ist die wahre Schöpferkraft. Aus einem großen und mächtigen Stück Kupfer oder Messing so ein rundes Ding nach und nach mit Hülfe von Feuer, Hammer und Zange zusammenzukneifen, ist nichts Besonderes, denn die Masse ist da und fügt sich, wenn man sie recht behandelt; aber einem schadhaften, ein- und ausgebeulten, verlöcherten und zerschabten Kesselwesen wieder zu einem Ansehen zu verhelfen, daß es wie neu aussieht, das ist eine Kunst, der nur wenige Menschen gewachsen sind.

Dieses Zitat aus einem Werk des deutschen Dichters Ludwig Tieck erinnert an eine Zeit, in der es üblich und auch notwendig war, Gegenstände wieder funktionstüchtig zu machen. Beschädigungen aller Art, ob Kratzer, Brüche, Risse, Beulen oder Löcher wurden, oft vom Nutzer selbst oder von spezialisierten Handwerkern, ausgebessert. Allerdings bestanden die Gebrauchsgüter damals aus Materialien, die zu reparieren waren.

In der Gegenwart hat es der Verbraucher oft mit Produkten zu tun, wo das nicht der Fall ist. Das Ausbessern von Kunststoffen zum Beispiel, ist gar nicht oder nur mit großem Aufwand möglich, der sich nicht rechnet und oft giftig ist. Auch entspricht es der heutigen Mentalität, beschädigte Gegenstände als minderwertig, nicht mehr nutzbar anzusehen und man entsorgt sie. Millionenfacher Ersatz steht aus der ganzen Welt bereit. Man muss nur zugreifen! Dennoch, seit einigen Jahren beginnt bezüglich der dadurch entstehenden Müllberge und der daraus folgenden Umweltbelastungen ein Umdenken. Vor allem junge Menschen, die nicht nur laut protestieren, sondern etwas tun wollen, beschäftigen sich mit dem sogenannten „Upcycling“ von Produkten. Bei diesem „Aus-Alt-mach-neu“ – Trend geht es weniger um Reparieren, als um die Umnutzung von Gegenständen. Einwegflaschen werden da zu Sitzgelegenheiten, Tetraverpackungen zu Taschen und alte T-Shirts zu Teppichen. Noch ist es eine Art Kunstform, die dem Umweltschutz dienen will. Impuls sind nicht Rohstoffmangel und Armut, im Moment jedenfalls.

In früheren Jahrhunderten waren gerade diese Motive der Grund, warum Reparaturberufe notwendig und auch erfolgreich waren. Rohstoffe waren schwer zu beschaffen und teuer, entsprechend sparsam wurde mit ihnen umgegangen. Das herstellende Handwerk war in der Regel in den Städten ansässig und dort in Zünften organisiert. Diese gaben nicht nur Regeln für das Zusammenleben und Preise vor, sondern auch die Qualitätsmerkmale für Produkte. Selbstverständlich übernahm ein Handwerkermeister auch Reparaturarbeiten, schob diese jedoch gern zur Seite, wenn viele Warenbestellungen vorlagen.

Das war die Chance für all jene Handwerker, die nicht in die Zunft aufgenommen wurden (z.B. weil sie unehelich geboren waren). Sie konnten sich als Wanderarbeiter ein Grundeinkommen sichern. Es gab aber auch andere Berufsgruppen (z.B. Bergmann, Bauer), die das Reparaturhandwerk im Nebenerwerb betrieben, wenn das Haupteinkommen zu Leben nicht genügte. Typisch für diese Erwerbsform war, dass der Handwerker, wenn erforderlich, für mehrere Tage bei seiner Kundschaft Quartier bezog, um die Aufträge dort vor Ort zu erledigen. Bei größeren Aufträgen gingen ihm Hilfskräfte zur Hand. Bekannt sind Einzelpersonen oder Personengruppen, die als Hilfskräfte auf Höfen, als Schornsteinfeger, Maurer, Lastträger, Steinsetzer, Waldarbeiter, Feilenhauer, Sägeschärfer oder Holzhacker anheuerten. Darüber hinaus gab es Pfannen- oder Kesselflicker, Messer- und Scherenschleifer, Schuster und Schuhflicker, Schneider, Korbflechter, Böttcher mit dem Schwerpunkt auf Instandsetzungsarbeiten, Stuhlflechter, Geschirr- oder Topfflicker, Reparaturglaser oder Blasebalgflicker.

Die Menschen haben häufig auf die Flickhandwerker gewartet. Zu ihm hatten die Dorfbewohner Vertrauen, vor allem dann, wenn eine generationenübergreifende Beziehung bestand. Gearbeitet haben die Fachmänner häufig auf den Dorfplätzen oder Räumen des Auftraggebers. Durch ihre Reisetätigkeit waren sie auch gefragte Nachrichten– und Geschichtenerzähler. Sie erzählten auch von Zuhause, wo Frau und Kinder auf die Rückkehr des Ernährers warteten.

In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg vollzog sich der Übergang von der Reparatur- zur Konsumgesellschaft, womit die ausgeübten Reparaturgewerbe auf ein Minimum dezimiert wurden. In den sozialistischen Ländern blieb die Reparaturmentalität noch erhalten, da dort ebenfalls Rohstoffmangel und Mangel an Konsumerzeugnissen herrschte. Nach 1990 und der mit der Einführung der Marktwirtschaft verbundenen Angebotsüberschwemmung änderten die Menschen ihr Verhalten. Ältere Generationen greifen mitunter noch zum Werkzeug, um etwas wieder herzurichten. Die Jungen lernen handwerkliche Fähigkeiten oft nicht mehr kennen. Es bleibt zu hoffen, dass das Wissen um die traditionellen Berufe nicht ganz verloren geht. Nicht nur der Geschichte wegen, dieses Wissen kann auch künftigen Generationen Antworten auf ihre Alltagsprobleme geben, denn unbegrenzte Rohstoffvorräte gibt es auch heute nicht.

Catrin Tolksdorf-Bilz

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