Sozialen Lage und wirtschaftliche Entwicklung in Seiffen

Der Seiffener Winkel, zu dem heute die Gemeinden Deutschneudorf mit Oberlochmühle, Brüderwiese und Deutscheinsiedel sowie Seiffen mit Ober- und Niederseiffenbach, Heidelberg und Steinhübel gehören, liegt fast im Kammgebiet des mittleren Erzgebirges, in 600 bis 800 m Höhe über dem Meeresspiegel und wird begrenzt durch den Fluss Flöha im Norden und den Grenzbach Schweinitz, der hier Tschechien von Sachsen trennt.

In dem kleinen Terrain des Erzgebirges bestritten viele Menschen ihren Broterwerb bereits sehr früh mit nichtagrarischen Tätigkeiten. Glasmacher arbeiteten nach archäologischen Befunden bereits Ende des 12. Jahrhunderts in diesem Gebiet. Nach archivalischen Belegen begannen Bergleute wenig später Zinnseifen anzulegen, was für 1324 erstmals bezeugt ist. In der Mitte des 17. Jahrhunderts kamen die Drechsler hinzu, die bis heute hier tätig sind. Selbstverständlich waren und sind diese Berufsgruppen auch stets in die jeweiligen Dorfgemeinschaften, zu denen unter anderem Bauern, Fuhrleute, Holzmacher, Leineweber, Zinngießer, Strumpfwirker, Lohgerber und Kaufleute gehörten, integriert gewesen.

Hier soll jedoch der Frage nachgegangen werden, in welcher sozialen Lage sich die Glasmacher, die Bergleute und die Drechsler im Seiffener Winkel befanden. Der betrachtete Zeitraum erstreckt sich von der Besiedlungszeit um 1200 bis zur Industrialisierung der Spielwarenproduktion um 1900.
Bereits im 12. Jahrhundert durchzog der von Halle/Saale über Sayda nach Most/Brüx führende Böhmische Steig, auch Alte Salzstraße genannt, das Gelände des späteren Seiffener Winkels. Die Besiedlung, die hier mit Unterstützung der Zisterziensermönche aus dem nahen böhmischen Kloster Osek/Ossegg geschah, begann um 1200. Der Böhmische Steig, der damals wohl einzige Pass in diesem Gebiet, führte die ersten Siedler direkt in den späteren Seiffener Winkel.

Zu Beginn mussten sie den Wald roden, der das hiesige Terrain, wie auch weite Teile des gesamten Erzgebirges zu dieser Zeit bedeckte. Dazu setzte man auch Glashütten ein. Die Glashütte Frauenbach I im gleichnamigen Tal bei Neuhausen, die in die Zeit um 1200 datiert wird, ist die älteste bislang nachweisbare Glashütte im Erzgebirge. Sie stellt auch gleichzeitig die älteste Glashütte ganz Böhmens(Tschechiens) dar. Frauenbach II sowie die Glashütte am Seiffener Ahornberg nahmen nur wenig später ihre Arbeit auf. Somit gehört das Glasmachen zu den frühesten nichtagrarischen Erwerbstätigkeiten im Seiffener Winkel.

Bergbau wird hier das erste Mal 1324 mit Cynsifen urkundlich erwähnt. Ob damit bereits eine Siedlung oder lediglich eine reine Zinnseife bezeichnet wurde, bleibt noch offen. Jedoch erhielt der Bergflecken Seiffen von dieser frühesten urkundlichen Erwähnung seinen Namen. Der Seiffener Winkel ist ein Beleg dafür, dass der erzgebirgische Bergbau die Glashütten nicht vertrieb, sondern sie aufgrund der immer notwendiger werdenden Holzselektionen lediglich dezimierte und einen festen Platz einnehmen ließ. Beide Gewerke existierten über Jahrhunderte nebeneinander.

Die mehr als zehn Glashütten, die über 600 Jahre allein im Seiffener Winkel im Umgang waren, befanden sich stets in unmittelbarer Nähe des Seiffener Bergbaues. Die Heidelbacher Glashütte, deren Fluren an die Seiffens rainten, arbeitete seit ihrer Gründung 1488 bis 1826 ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bergbau und all dessen notwendigen Folgeeinrichtungen, wie Zinnhütten und Pochwerke. Sie produzierte neben einfachem grünem Waldglas auch Flach- und Hohlgläser für gehobene Ansprüche und lieferte ihre Erzeugnisse in die Umgebung der Hütte, so auch nach Schloss Purschenstein, den Sitz der Grundherrschaft von Schönberg (Abb. 30). Daneben befanden sich ihre Hauptabnehmer in Annaberg, Marienberg, Freiberg und Dresden – inklusive des Dresdener Hofes. Als im Jahre 1826 kein Holz aus Böhmen für die Glashütte eingeführt werden durfte, da man befürchtete, der Preis, der mit Böhmen für das Holz, welches für die Einwohner und den Bergbau in Freiberg benötigt wurde, bereits vereinbart war, könne dadurch erhöht werden, musste die Glashütte Heidelbach ihre Produktion einstellen. Damit verschwand die Glasmacherei für immer aus dem Osterzgebirge.

Beim Zinnseifen wird erzhaltige Erde in ein Flussbett geworfen. Durch Absenken der Fließgeschwindigkeit mittels Dämmen aus Geäst setzen sich die schweren Zinngraupen auf dem Flussbett ab, während das leichtere, taube Gestein den Damm passiert. Die so „ausgeseiften“ Zinngraupen wurden nun weiterverarbeitet. Bis um 1780 betrieb man im Seifenbach Zinnseifen. Auch der um 1460 beginnende Untertagebergbau galt hauptsächlich dem Zinn, aber auch Eisen und Kupfer wurden hier abgebaut. Den hiesigen Bergbau betrieben anfangs hauptsächlich Eigenlehner.

Mit dem 30-jährigen Krieg sank die Ausbeute der Bergwerke enorm, vor allem, da durch Kriegseinwirkungen die Bergbauanlagen zerstört wurden. Bald danach wandten sich wieder zahlreiche Einwohner dem Bergbau zu und bereits 1686 wurde die erste Knappschaftsordnung für Seiffen und Heidelberg erlassen. Darüber hinaus richtete um 1600 die Grundherrschaft von Schönberg auf Purschenstein ein Bergamt in Seiffen ein. Es war das kleinste Bergamt Sachsens, dem lediglich drei Beamte angehörten. 1725 erlebte der Seiffener Zinnbergbau mit einer Ausbeute von mehr als 400 Zentnern Zinn seinen Höhepunkt. Danach kam es zwar zu einigen Neuanfängen, die nun hauptsächlich von Gewerkschaften getragen wurden, sie brachten jedoch keinen größeren Erfolg. Somit fand der Seiffener Bergbau – sieht man von einigen Versuchen der „Wismut“ nach dem 2. Weltkrieg ab – 1849 sein Ende.

Drechsler bilden die „jüngste“ der drei Berufsgruppen, die hier betrachtet werden sollen. Woher und wann der erste Drechsler nach Seiffen kam, ist unbekannt. Vielleicht ist er unter den Exulanten zu suchen, die wegen ihres evangelischen Glaubens in den Folgen des 30-jährigen Krieges aus Böhmen vertrieben wurden und sich auch in Seiffen niederließen. Die erste schriftliche Erwähnung fanden drei Drechsler im Jahre 1650. Gebrauchsgegenstände wie Spindeln, Teller, Schüsseln etc., waren ihre Haupterzeugnisse in dieser Zeit. Spielzeug wurde, außer wohl für die eigenen Kinder, nicht hergestellt. Bis zum Jahre 1700 erhöhte sich die Anzahl der Drechsler bis auf zehn. Mit ansteigender Ausbeute des Seiffener Zinnbergbaus in der darauffolgenden Zeit, wandten sich auch wieder zunehmend mehr Drechsler dem Bergmannsberuf zu, sodass im Jahre 1734 in Seiffen nur ein Drechsler tätig war. Der „Riesenauftrag“, 30.000 Teller für das Zeithainer Lustlager, das 1730 stattfand, zu drechseln, wurde so in Neuwernsdorf und nicht in Seiffen ausgeführt.

Um 1760 brachte der Heidelberger Kaufmann Christian Friedrich Hiemann von der Leipziger Messe große Aufträge mit. Sie umfassten nun hauptsächlich Spielzeug, das durch die massenhafte Herstellung zur Spielware wurde. Die zahlreich am Seiffenbach vorhandenen Pochwerke rüstete man zu Drehwerken um, was auch durch die Grundherrschaft begrüßt wurde. Doch als die Bergwerke wieder aufgefahren werden sollten, ging niemand mehr in den früheren Beruf zurück. Die „umgeschulten“ Drechsler, der Waldreichtum, die Umrüstung der Pochwerke und der Mut des Kaufmanns Hiemann waren wichtige Voraussetzungen, um im Seiffener Winkel das Holzdrechseln und das „Spielwaremachen“ zu etablieren. Verleger waren die Einzigen, die das Dorf zum Zwecke der Auftragsbeschaffung verließen. Sie kannten den Markt, brachten Aufträge für die daheimgebliebenen Drechsler mit, übergaben den Drechslern oft die notwendigen Materialien und bei Lieferung der Ware erhielten diese sofort ihren Lohn. Dieses Vorlegen des Geldes, was man früher auch Verlegen nannte, gab dem Verleger seine Berufsbezeichnung.
 
Die Drechsler waren zu dieser Zeit stark von den Verlegern abhängig. 1767 sanktionierte der sächsische Kurfürst den Beruf des Verlegers. Nur mit Verlegern, die in die ganze Welt exportierten, konnte sich das Drechsler- und Spielwarenmachergewerbe entfalten wie im Seiffener Winkel. Dies bestärkt auch der Wiener Kaufmann Franz Frankl bei einem Vergleich der böhmischen und sächsischen Spielwarenindustrie, indem er meint, dass … zwischen dem rechten (Sachsen) und linken Ufer (Böhmen) der Schweinitz krasse Unterschiede in der Qualität des Drechselns, in der Innovation der Produkte und in der Breite der Produktpalette bestünden. Schuld daran seien allein die böhmischen Verleger, die nie versuchten die Waren im Ausland abzusetzen.

Die Biedermeierzeit mit dem aufstrebenden Bürgertum war besonders geeignet, Spielzeug abzusetzen. Jedoch wurde die sächsische Regierung 1843 benachrichtigt, dass in Nordhausen erzgebirgisches Spielzeug aufgetaucht sei, welches mit giftigen Farben wie Grünspan und Bleiweiß gefärbt wurde. Weder Verleger noch Drechsler widersprachen dem, denn nur mit diesen giftigen Farben konnte die Brillanz des Spielzeugs erreicht werden, die besonders in England, Frankreich und den USA gefordert wurde. Dennoch wurde die Anwendung dieser Farben sofort verboten, was die Spielwarenproduktion in ganz Sachsen in Frage stellte – sie stand vor dem Aus. Der Verleger Gottlieb Friedrich Hiemann unterbreitete den Vorschlag, die Lackschicht mit Terpentin zu versiegeln. Danach wurde auch die Meinung des Chemieprofessors Wilhelm August Lampadius von der Bergakademie Freiberg eingeholt, der Hiemanns Vorschlag für gut befand, aber darüber hinaus sollte die Ware noch mit Spirituslack überzogen werden. Diese zwei Männer retteten in dieser Zeit die Holzspielwarenproduktion für ganz Sachsen.

Spätesten mit dem Aufkommen der Weihnachtsfiguren (Engel 1836, Räuchermann 1848, Nussknacker 1861 etc.) trat auch eine immer stärkere Spezialisierung der Drechsler ein. Wohl schon vorher kam es zur Spezialisierung einzelner Dörfer. So wurden in Hallbach Archen und in Rothenthal Kegel, in Seiffen feines und in Deutscheinsiedel grobes Reifenvieh, das so genannte „Einsiedler Vieh“ hergestellt. 1850 gründete Samuel Friedrich Fischer in Oberseiffenbach die erste Spielzeugfabrik Deutschlands. Ihm folgten noch zahlreiche unternehmerische Drechsler, die ihre Werkstatt in eine Fabrik umwandelten.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts geriet die erzgebirgische Spielwarenindustrie erneut in eine tiefe Krise, die vor allem für die Drechsler und Spielwarenmacher schwere Folgen hatte. Ursachen dieser Krise waren die Verteuerung des Holzes, das Aufkommen des Blechspielzeuges in Nürnberg, neue Konkurrenz aus Japan und der damit verbundene Preisdruck der Verleger. Das etwa um 1780 entstandene Reifendrehen, das einen ganz wesentlichen Pfeiler bei der Entwicklung des Seiffener Winkels zum Drechsler- und Spielwarenstandort darstellte, verschwand aus den Dörfern Neuhausen, Dittersbach und Deutschneudorf völlig und die Löhne sanken nicht nur für die noch verleibenden Reifendreher.

Als im Jahre 1904 die Reifendreher verhindern wollen, dass ihre Kunst an der Fachschule gelehrt wird, weil sie dadurch eine zu große Verbreitung des Reifendrehens befürchten, das sie als „Krone unserer Hausindustrie“ bezeichnen, kommt es zu einer Diskussion über dieses Fertigungsverfahren. Dabei bezweifelt ein Beamter der amtshauptmannschaftlichen Delegation Sayda, ob das Reifendrehen überhaupt sinnvoll ökonomisch vertretbar sei und begründet dies: Zwar schafft Reifendrehen hohe Stückzahlen, aber dabei wird sehr viel Holz verbraucht. Auf der Reifendrehbank werden jetzt noch in der Hauptsache kleine Tiere aller Art, Flinten, Arme und Beine für Soldaten usw. hergestellt. Es liegt in der Natur des Reifendrehens, dass nur annäherungsweise die Formen des darzustellenden Tieres entstehen. Bei allem handelt es sich um Tausendware der allergeringsten Güte. Band- und Laubsäge ermöglichen bessere Formen. Darauf antwortet das Ministerium des Inneren jedoch, dass …. die Neubelebung und Förderung dieser Arbeitsweise, die für die erzgebirgische Spielwarenindustrie von größter Bedeutung ist, erstrebenswert ist. Von der Amtshauptmannschaft Freiberg, Delegation Sayda, zu der Seiffen damals gehörte, wurde eine maßvolle Verbesserung der künstlerischen Formen vorgeschlagen, um damit eine echte Volkskunst im Kleinen zu schaffen. Somit war die Kategorie „Volkskunst“ für das erzgebirgische Spielzeug geboren. Dies wurde vor allem durch den Landesverein Sächsischer Heimatschutz unterstützt. So nahmen Miniaturen neben den Weihnachts- und Kulturartikeln sowie Gebrauchsgegenständen in der Produktion des Seiffener Winkels bis zum 1. Weltkrieg einen immer breiteren Raum ein.

Bereits vor 1900 hatten sich Künstler und Kunsterzieher u. a. in Dresden und München damit beschäftigt, gutes Miniaturspielzeug zu entwerfen, um dem industriell hergestellten Spielzeug qualitativ hochwertiges Spielzeug entgegenzusetzen. Gefertigt wurde dies anfangs in den Hellerauer Werkstätten Dresden sowie in Zschopau und Großolbersdorf. Um 1900 stellten zahlreich Länder, so auch die USA, ihre Zölle vom Wertzoll auf Gewichtszoll um, damit waren Miniaturen gefragt, und so entwarf 1905 der Seiffener Verleger Heinrich Emil Langer, angelehnt an die Dresdener Schule, eine Postkutsche und ließ sie produzieren. Mit dieser Miniaturisierung war die Grundlage für die Seiffener Volkskunst geschaffen, die bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ein breites Sortiment hervorbrachte. In dieser Zeit wurde aufgrund erhöhter Nachfrage die Produktion von Weihnachts- und Osterartikel verstärkt. Dennoch wird bis heute Miniaturspielzeug produziert.

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