Verlagssystem im erzgebirgischen Spielwarenhandel

Im Mittelpunkt dieser Abhandlung stehen die erzgebirgischen Spielwarenverlage. Bei Gesprächen und Vorträgen kann man feststellen, dass über Verlage und Verleger vielfach einseitige Vorstellungen bestehen. Jedoch entstanden auch im Zusammenhang mit dem produzierenden Handwerk Verlage. Spielwarenverlage wurden von Karl Ewald Fritzsch und Manfred Bachmann behandelt. Im vorliegenden Artikel soll aus der Geschichte des Verlagssystems u. a. den Fragen nachgegangen werden: Was ist ein Verlag? Warum entstanden gerade in Grünhainichen und Seiffen, aber vornehmlich in dem Dorf Olbernhau, zahlreiche Spielwarenverlage? Wie kam es zu den negativen Meinungen über die Verleger? Den Hauptinhalt bilden die Leistungen zahlreicher Spielwarenverleger im Erzgebirge.

Was ist ein Verlag?

Spricht man heute vom „Verlag“, so verbinden die meisten Menschen damit ausschließlich Zeitungs- oder Buchverlage. Jedoch bereits in der frühen Neuzeit entwickelte sich in vielen Zweigen der Wirtschaft das Verlagssystem. Diese Betriebsform kennzeichnen eine dezentrale Produktion, an der mehrere Hausindustrielle beteiligt sind und eine zentralen Vermarktung durch einen Kaufmann.

In früher Zeit begaben sich besondere Hersteller auf den Weg zu nahen und fernen Märkten, um die eigenen und oft auch die Produkte anderer Dorfbewohner dort zu verkaufen. So gelangten sie zu exklusiven Kenntnissen darüber, was der Markt aktuell verlangte und konnten dieses Wissen den anderen Produzenten mitteilen. Diese Leute mussten auch die Fähigkeit besitzen, das Dorf für längere Zeit verlassen zu können.

Was heute selbstverständlich ist, stellte früher durchaus einen besonderen Charakterzug dar. Mit der Zeit lösten sie sich völlig aus dem Produktionsprozess heraus und widmeten sich vordergründig dem Handel. Dies gestattete ihnen, Kapital zu bilden, mit dem sie nicht nur weitere Produkte von den Herstellern kaufen, sondern ihnen gar Rohmaterial und Produktionsmittel zur Verfügung stellen konnten. Natürlich schöpften später die meisten dieser Händler das notwendige Anfangskapital auch aus anderen Quellen.

Die Hausindustriellen lieferten ihre Ware beim Händler ab und erwarteten eine sofortige Bezahlung, was auch geschah. Der Kaufmann nahmen auch die Ware ab, für die sie keinen sofortigen Absatz hatten und die in den Gebäuden der Kaufleute gelagert wurde. Somit finanzierte er Waren, oft aber auch Produktionsmittel und Rohstoffe, ja sogar Lebensmittel für die Hausindustriellen vor. Sie arbeiteten in ihren Wohnungen, allenfalls in kurzeitig gemieteten Produktionsstätten. An der Produktion waren meist sämtliche Familienmitglieder, einschließlich der Kinder, und oft auch andere Personen beteiligt. Der Hausindustrielle besaß eigene Produktionsmittel und manchmal kaufte er auch Rohteile, so etwa Reifentiere, zu, er war scheinbar selbstständig. Jedoch durch die Vorfinanzierungen und die Bereitstellung von Material und Produktionsmitteln gerieten die Hausindustriellen in starke Abhängigkeit des Verlegers, die, je nach dessen Einstellung, zur drückenden Ausbeutung führen konnte.

Zur Bedeutung des Verlagssystems

Früher nannte man das Vorfinanzieren: Geld verlegen. Daraus leiteten sich die Begriffe „Verlegter“ für den Hersteller, „Verleger“ für den Kaufmann, „Verlag“ für die Firma des Verlegers und „Verlagssystem“ für die Betriebsform ab. Wenn ein Kaufmann selbstständige Aufträge vergibt, war er auch verpflichtet, den Hersteller sofort zu bezahlen und die Ware zu lagern. Damit waren auch Lagermöglichkeiten notwendig, die sich im eigenen Gebäude und in Nebengebäuden auf dem Grundstück befanden. Erst mit dieser Investition war eine verlegerische Tätigkeit gegeben.

Seit der frühen Neuzeit beherrschten Verleger zunehmend Gewerbe, die Massenwaren produzierten, speziell das Textilgewerbe mit Weberei sowie Borten- und Klöppelspitzenproduktion, aber auch das Töpfer-, Waffen-, Uhren-, Glasgewerbe u. v. a. m. Natürlich gehörte auch das Spielwarengewerbe dazu. Zu seiner vollen Blüte gelangte das Verlagssystem in Deutschland erst im 18. und 19. Jahrhundert. Diese Betriebsform breitete sich hauptsächlich auf den Dörfern aus. Zum einen lebten hier viele Bauern, die vor allem in den Wintermonaten mit ihrer Arbeit nicht voll ausgelastet waren und sich in dieser Zeit anderen Dingen, wie eben der Herstellung von Waren, widmen konnten, zum anderen mussten die Verleger hier weniger Lohn als in der Stadt zahlen.

Einen weiteren Grund stellten die in den Städten agierenden Zünfte dar. Seit dem Mittelalter schlossen sich die städtischen Handwerker zu Zünften zusammen, die für ihre Mitglieder Rohstoffbeschaffung, Löhne, Beschäftigungszahlen, Preise und Absatzmengen und gar die Witwenversorgung festlegten. Ein sehr stringentes System, das jedoch auch höchsten Qualitätsansprüchen genügte. Im 18. Jahrhundert stieg die Anzahl der Handwerker in den Städten sprunghaft an, die nun jedoch so viel produzieren konnten, dass die engen Vorgaben der Zünfte nicht mehr genügten. So arbeiteten zunehmend auch städtische Handwerker für Verleger und durchbrachen so die Zunftordnungen. Damit wurden die Zünfte zu den stärksten Gegnern der Verleger. Letztendlich setzten sich die Verleger gegen die Zünfte durch.

Am Liefertag, es war meist der Sonnabend, brachten meist die Frauen die Ware zum Verleger, der den Lohn sofort auszahlte. Zur Überbrückung der beschäftigungsarmen Monate, die den überwiegenden Zeitabschnitt des Jahreslaufes darstellten, erwarteten die Hersteller, dass der Verleger auch in dieser Zeit ihre Ware abkaufte und sie lagerte, denn wie auch noch heute war nur in der Advents- und Weihnachtszeit ein guter Absatz von Spielwaren gegeben. Ein guter Verleger musste wissen, wann und wo im Jahreslauf auf der Erde besondere Festtage stattfanden, um zu versuchen, in der schwachen Zeit Absatz in diesen Ländern zu finden. Zwar kaufte der Verleger die Ware in den meisten Fällen ab, es kam aber auch vor, dass er dies nicht tat.

Die Gründe für die Ablehnungen waren vielschichtig, aber in jedem Falle stellte es für den betroffenen Produzenten, seine Arbeiter und für die Familie oft eine Notsituation dar und verdeutlicht die Abhängigkeit der Hausindustriellen vom Verleger. Dennoch waren die Verleger oft auch die „Motoren“ der dörflichen Wirtschaft. Hätten sie die Waren aus Geldmangel nicht bezahlen können, so wäre die gesamte Wirtschaft in den Orten, die fast ausschließlich von diesen Waren lebten, zum Erliegen gekommen.

Bedeutung hatte das Verlagssystem auch als Vorbereiter der Industrialisierung. Auf wesentliche Veranlassung der Verleger wurde im 19. Jahrhundert das desolate Straßensystem verbessert. Auch bei Durchsetzung der Zollunion spielten Verleger eine wichtige Rolle. „Die vorindustrielle Wirtschaft, in deren Zentrum das Verlagssystem rückte, ebnete den Weg zur Industrialisierung. Nur das Handelskapital des international agierenden Verlegertums konnte das für die Industrie notwendige Kapital freisetzen… Der erste Industrieschub erfolgte nicht aus dem Handwerk, sondern aus dem Handelskapital“ Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass eben dieses Kapital auch auf Ausbeutung der Hausindustriellen und ihrer Angehörigen beruhte. Bereits Mitte das 19. Jahrhunderts wusste man, das Verlagssystem nur eine Übergangserscheinung sein wird.

Frühe Verlage

Obwohl bereits während des 9. Jahrhunderts in der fränkischen Lebensmittelherstellung eine erste Verlagsform bestand, entwickelten sich die ersten Verlage im 14. Jahrhundert in den Niederlanden.

Zu den frühen deutschen Verlegern gehört die in Augsburg ansässige Familie Fugger. Hans Fugger war wohl bereits Ende des 14. Jahrhunderts als „Weberverleger“ mit italienischer Baumwolle beschäftigt. Dieser Verlag war die Grundlage für das enorm erfolgreiche Unternehmen der Familie Fugger. 1455 trennte sich die Familie in zwei Linien. Während die Familie „Andreas Fugger vom Reh“ wenige Jahre später zahlungsunfähig wurde, war „Jacob Fugger von der Lilie“ sehr erfolgreich.

Aus dem Verlag entstand ein Handelshaus, das den Fernhandel ausbaute und zu dem auch Berg- und Hüttenwerke gehörten, die den Handel mit Erzen und Edelmetallen, so auch mit erzgebirgischem Kobalt, gestatteten. Jacob und sein Neffe Anton führten das Unternehmen zur Weltgeltung. Sie handelten auch mit Tuchen, Gewürzen und Luxusartikeln. Die von ihnen gegründete Bank konnte Darlehen gar an Fürstenhäuser ausreichen, ja die Fugger wurden selbst in den Hochadel erhoben. Sie ließen auch die „Fuggerei“, einen Wohnpark in Augsburg, bauen, in dem noch heute die Bewohner nur eine sehr geringe Miete zahlen. Grundlage dieses außerordentlichen Unternehmens war der Verlag, der mit Baumwollerzeugnissen handelte.

Um 1514 wurde in Annaberg Barbara von Elterlein geboren, die 1529 den erfolgreichen Montan-Unternehmer Christoph Uthmann heiratete, der im Jahr 1550 die Saigerhütte Grünthal kaufte. Dafür erwarb er ein Privileg, nach dem er von allen Kupferzechen die Erze zu einem vom Landesherrn festgelegten Peis beziehen durfte. Als Christoph Uthmann bereits 1553 starb, war es eigentlich unmöglich, dass eine Frau ohne einen männlichen Vormund Rechtsgeschäfte abschloss. Doch Barbara und deren Kinder schafften es, diese Gepflogenheit zu durchbrechen. Gemeinsam bewirtschafteten sie die Saigerhütte mit allen Privilegien bis 1567 gewinnbringend.

Neid auf die guten Erträge führte zu Intrigen anderer Unternehmer, die den Kurfürsten dazu anregten, die Saigerhütte Grünthal selbst zu übernehmen. So mussten die Uthmanns die Anlage noch im gleichen Jahr an den Landesherrn für einen viel zu niedrigen Preis verkaufen. Bereits neben der Saigerhütte betrieb Barbara einen Verlag, der sich mit dem Handel von Borten beschäftigte. Meist waren es Frauen und Mädchen, die sich mit der Bortenwirkerei ihr Geld verdienten. Ihnen, es waren in Konjunkturzeiten bis zu 900 Wirkerinnen, stellte die Verlegerin Uthmann die notwendigen Materialien zur Verfügung. Zwar war Barbara weder die Erfinderin des Spitzenklöppelns, noch hat sie diese Technologie im Erzgebirge eingeführt, jedoch gab die Verlegerin vor allem mit dem Wirken von Borten vielen Menschen in und um Annaberg Lohn und Brot, so dass sie sehr verehrt wurde. Natürlich zog auch Barbara Uthmann großen Nutzen aus ihrer Verlegertätigkeit.

Der Widerspruch zwischen Verlegern und Hausindustriellen trat im Aufstand der schlesischen Weber vom 4. bis 6. Juni 1844 besonders krass zu Tage. Dies waren jedoch nicht die ersten Unruhen unter den Webern gegen ihre Verleger. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage der verlegten Weber, da sie nur selten in bar entlohnt wurden und oft die Hälfte des Warenwertes durch Rohstofflieferungen aufgerechnet wurde. In Augsburg ereigneten sich in den Jahren 1784/85 und 1794/95 Aufstände. In dieser Zeit kam es auch in Schlesien zu Weberaufständen.

Gründe dafür waren die politischen Zustände in der Provinz Schlesien. Sie wurde 1742 Preußen zugeschlagen, wodurch die Bauernbefreiung erst sehr spät stattfand. So mussten sie noch lange sämtliche Feudalabgaben leisten. Dem Preisverfall versuchten die Weber durch Kinderarbeit und Verlängerung der Arbeitszeit zu begegnen. Jedoch sank dadurch die Qualität und auch die neue Technik stand ihnen nicht zur Verfügung. Zudem war eben das Eulengebirge sehr dicht besiedelt, wodurch es zu einem Überangebot an Arbeitskräften kam, was manche Verleger für eine verstärkte Ausbeutung nutzten. Bei dem Weberaufstand 1844 wurde das Gebäude der Verleger Gebrüder Zwanziger zerstört, weil sie schlechte Löhne zahlten. Das sich unweit davon befindende Gebäude des Verlegers Fellmann dagegen blieb verschont, er war für Zahlung von „gerechten“ Löhnen bekannt.

Seit 1799 ist ein Streit zwischen Dresdner Verlegern und der dortigen Drechslerinnung nachweisbar. Die Dresdner Verleger Grundmann und Menzer handelten mit Spielzeug, das sie als geschnitzt deklarierten, während die Drechslerinnung meinte, dass eben diese Produkte gedrechselt seien. In Dresden durfte jedoch nur gedrechselte Ware verkauft werden, die auch von Mitgliedern der Dresdner Drechslerinnung hergestellt wurde. Diese strittige Ware stammte nicht aus Dresden, sondern wurde fuderweise aus Seiffen bezogen. Um diese billige, aber sehr guten Ware dennoch verkaufen zu können, behaupteten Verleger, dass diese Ware von Kindern in der Purschensteiner Herrschaft geschnitzt würde.

1810 sandte der Rat zu Dresden einen Amtmann nach Seiffen, der letztendlich berichtete, dass diese Erzeugnisse erst gedrechselt und dann beschnitzt würden. In dieser Akte wird erstmalig der Begriff „Reifendrehen“ genannt. Die Verleger schrieben danach, dass sie mit derartiger Ware bereits seit 36 Jahren handeln, woraus sich der Beginn der Reifendreherei in die Zeit um 1775 datieren lässt. Die erste Abbildung eines reifengedrehten Erzeugnisses zeigt der Bestelmeierkatalog von 1803 und der erste schriftliche Nachweis stammt von 1810. Im gleichen Jahr durften auch die Seiffener Händler Samuel Gottlieb Neubert, Christian Friedrich Kempe, Gotthelf Friedrich Fichtner und Johanna Christiane Schneider erstmals offiziell ihre Ware auf dem Striezelmarkt verkaufen. Voraussetzung dafür war jedoch, dass alle vier 1809 der Dresdner Drechslerinnung beigetreten waren. So haben auch Verleger bei der Verbreitung des Reifendrehens auf dem wichtigen Markt in Dresden ihren Beitrag geleistet. (A. K.)

Die Seiffener Marktneulinge erhielten für 16 Groschen und unter verschiedenen Auflagen eine Marktstelle zugeteilt, die sie bis zu ihrem Tode betreiben oder auch an ihre Nachkommen weitergeben konnten: Der Verkauf ihrer Waren war den auswärtigen Handwerkern nur am ersten Tag des Striezelmarktes gestattet, wie es heißt „einen Sonnenschein lang“. Am Tag zuvor, wo sie von Mittag 12 Uhr an ihre Waren in den Buden auspacken durften, war es möglich, die Produkte insgesamt an „diejenigen hiesigen DrechslerMeister oder auswärtige Meister und Händler, welche durch ein, von den Ältesten der hiesigen DrechslerInnung erhaltenes Zeichen, sich legitimieren, Waaren zu verkaufe“.

Bemalte Trompeten, gedrehte Pfeifen, bunte Kegel, Blasrohre, Handspritzen, Tafelservice, Eimer, Lotto– und Schachspiele und bemalte Flinten aus dem erzgebirgischen Spielzeugwinkel verkauften sich gut, so dass die Seiffener alle Abmachungen einhielten. Erst 25 Jahre später wurden Drohungen der Dresdener Drechsler laut, nachdem man Übertretungen der Marktzeiten festgestellt hatte. Der Dresdener Rat lockerte jedoch daraufhin die Bedingungen für den Handel mit erzgebirgischen Spielwaren, welche zu dieser Zeit längst die Märkte in Europa und Übersee erobert hatten. (ctb)

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