Landhandel und städtischer Markt

Der Handel konnte im Mittelalter grob in zwei verschiedene Bereiche unterteilt werden: Zum einen existierte auch damals schon ein beachtliches Fernhandels-Netz, das von einflussreichen Kaufleuten betrieben wurde und das die eher wohlhabenden Familien mit Luxusgütern aus anderen Ländern versorgte. Dem regionalen Markt kam eine wesentlich größere Bedeutung zu. Hier versorgten Gewerbetreibende und Krämer die örtliche Bevölkerung mit Dienstleistungen und Waren, die sie selbst nicht oder nicht in ausreichender Menge selbst produzierten konnte.

Das Getreide, als Hauptnahrungsmittel, war das Haupthandelsgut zu jener Zeit. Jeder Einwohner verbrauchte im Jahr durchschnittlich 200 Kilogramm in Form von Brei, Brot und Bier. Um Hungersnöte zu verhindert oder abzumildern, griff der Staat oft in die Getreidepolitik ein. So setzte zum Beispiel Karl der Große Höchstpreise für Getreide fest und er wies die geistlichen und weltlichen Grundherren an, zuerst ihre Untertanen mit Getreide zu versorgen, bevor sie Überschüsse auf den Märkten verkaufen durften. 

Überschüsse waren in vielen Gegenden, auch in guten Erntejahren, kaum zu erbringen, da die Ertragsfähigkeit der Böden noch zu gering und die Anbaumethoden uneffektiv waren. Ein Dorf mit einer durchschnittlichen Gemarkung von 850 Hektar (Seiffen heute: 12,43 km2 = 1.243 ha und 2.415 Einwohner) konnte im Mittelalter für 100 bis 200 Menschen Nahrungsmittel erzeugen, um 1900, als sich die Methoden und Geräte verbessert hatten, für 600-700. Im Erzgebirge diente der jährliche Ernteertrag der Deckung des eigenen Bedarfs. Fehlten Getreide, Stroh, Heu, Gemüse und Obst, wurde es aus dem nahen Böhmen und dem sächsischen Erzgebirgsvorland direkt eingeführt. Fuhrleute waren mit Wagen und Pferd unterwegs. Aus Augenzeugenberichten wissen wir, dass die auch Familien selbst, mit Kiepe, Rucksack oder Schubkarren in die fruchtbareren Landstriche wanderten und Lebensmittel heranschafften.

Schlimm traf es die Erzgebirger, wenn auch das böhmische Land von Missernten betroffen war, oder die Grenzen aufgrund von Kriegen oder drohenden Seuchen geschlossen wurden. Und dies war oft der Fall. Die Städte legten für solche Situationen Getreidespeicher an (z.B. in Marienberg 1809). Im Grenzraum waren „Pascher“ Schwarzhändler unterwegs.

Um Lebensmittel zukaufen oder eintauschen zu können, mussten die Erzgebirger einen finanziellen Gegenwert schaffen. In Seiffen und Umgebung wurde dies durch den Bergbau, die Produktion kostbarer Gläser, Leinwand (Stoffe) und von Drechsler– und Holzspielwaren erreicht. Der Verkauf dieser Erzeugnisse, die das besondere Angebot der Region ausmachten, flossen Geldmittel von außen in den Gemeindeverband und in die einzelnen Familienkassen hinein. 

Das im Bergbau gewonnene Erz hatte ein jeder Bergmann in der herrschaftlichen Schmelzhütte abzuliefern. Dort wurde es eingeschmolzen und dann als Rohstoff über Zwischenhändler weiterverkauft, der Bergmann entlohnt. Heidelbacher Glas war sogar am sächsischen Kurfürsten– und Königshof beliebt, so gingen zahlreiche Lieferungen direkt an diese Adresse. Andere waren z.B. für Kirchenausgestaltungen und den herrschaftlichen Haushalt auf Purschenstein bestimmt. Gläser und Fensterscheiben konnten sich nur wohlhabende Familien leisten. Die Glasmacher verdienten im 17. und 18. Jahrhundert gut und gehörten zur dörflichen Oberschicht.

Auch landwirtschaftliche Produkte   oder vor Ort hergestellte Gebrauchsgegenstände (z.B. Teller, Löffel, Schüsseln, Holzspielzeug, Textilien, Leder– und Metallwaren), die nicht für den Eigenbedarf benötigt waren, wurden verkauft. Der Vertrieb der Waren erfolgte über vorbeikommende Händler oder über hiesige Kaufleute (Krämer), die einen sogenannten „Land– und Frachtfuhrmann“ oder „Fuhrknecht“ mit dem Transport der Waren beauftragten oder selbst zum nächsten Markt fuhren. 

Händler waren auch Bauern aus der Region, die im Winter mit ihren im Nebenerwerb geschaffenen Produkte handelten. Wer es sich im Sommer zeitmäßig leisten konnte, brachte seine landwirtschaftlichen Produkte selbst auf den städtischen Markt.  

Die Stadt Sayda hatte sich aus einer im 11. Jahrhundert eingerichteten Zollstätte, an der Handelsverbindung von Halle nach Prag, unmittelbar an der Grenze zu Böhmen gelegen, entwickelt. Sie war der wirtschaftliche und bis zum Dreißigjährigen Krieg auch politische Mittelpunkt der Herrschaft von Schönberg/Purschenstein.

Etwa in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert, vermutlich nach Herrschaftsantritt der Familie von Schönberg, hat sich der Ort mit einer Stadtbefestigung umgeben. Das Recht hierzu war im Mittelalter ein besonderes Privileg, denn die Festungsanlage bot dem sich entwickelnden Marktplatz, der Stadt und dem Herrschaftssitz zusätzlichen Schutz vor Angreifern. Mit dem Erlangen des Befestigungsrechtes bot Sayda vor allem durchziehenden Händlern Sicherheit für ihre wertvollen Waren und gewann hiermit an Bedeutung. 

Die Mauer wurde vermutlich aus Stein und Lehm errichtet. Die Mauerkrone war begehbar und nach außen hin mit einer Brüstung mit Schießscharten versehen. So gesichert konnte die Stadt nur durch die 4 vorhandenen Stadttore: das Freiberger und das Böhmische Tor, an der Handelsstraße gelegen, das Wassertor und eine Pforte im Nordosten der Stadt passiert werden. Torwächter kontrollierten wer in die Stadt hinein oder hinaus wollte. Für Waren wurden Zölle fällig. 

Im Jahre 1442 verlieh der Grundherr Heinrich von Schönberg Sayda das Stadtrecht. In dem Stadtbrief wird u.a. das Recht verbürgt, innerhalb einer Meile allein Bier zu brauen und auszuschenken, Salzmarkt und Wochenmärkte abzuhalten, Zins zu erheben, Brückenzoll zur Unterhaltung der Brücken zu erheben, das Innungswesen zu regeln, Erlaubnis zum Bauen und zum Handel treiben zu erteilen. Es gibt auch strenge Regeln für die Bewohner der Stadt. So wurde z.B. verboten, des Nachts mit brennenden Spänen (statt Laternen) auf die Gasse zu gehen, bei den Wassertrögen zu waschen, damit das Wasser nicht verunreinigt werde. Fütterungen durften nicht in die Häuser gelegt werden und es war verboten, allein zu hüten, d.h. sein Vieh nicht durch den Stadthirten auf dem bestimmten Platze, der Viehtreibe, hüten zu lassen. Auch war es verboten, lange Messer zu tragen.

Das Marktrecht war im Mittelalter für die städtische Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Denn mit den Marktprivilegien sicherte der Landesherr dem Markt auch seinen Schutz zu. Händler und Handwerker brauchten einen Sitz, wo sich Waren stapeln und gar Gold– und Geldwerte horten ließen, ohne zu große Gefahr des Diebstahls oder Raubes. An gut geschützten Märkten siedelten sich Kaufleute dauerhaft an. Sie konnten ihren Fernhandel von hier aus betreiben und ihre Waren auch vor Ort verkaufen. 

Während umherziehende Händler ihre Waren auf dem Marktplatz ausbreiteten, richteten sesshafte Kaufleute bald kleine Geschäfte, sogenannte Kramläden ein. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts entwickelten sich die regelmäßigen, dreitägigen Jahrmärkte (jährlich zu Himmelfahrt und zu Mariä Himmelfahrt (15. August) zu kleinen Handelsmessen.

Jahrmärkte gehörten im Mittelalter zu den wichtigsten Ereignissen in der Gesellschaft, nicht nur der Händler wegen, die oft von weit herkamen und einige Zeit am Marktort verbrachten und einen Teil des auf dem Markt erwirtschafteten Gewinns in Herbergen und Geschäften ließen. 

Will man sich das Leben und Treiben während eines solchen Marktes vorstellen, muss man sich daran erinnern, dass die Ankunft oder Abfahrt eines großen Wagenzuges der Kaufleute ein bedeutendes Ereignis darstellte, das die Bewohner der Stadt und des Umlandes lange beschäftigte. Auf den Jahrmärkten mussten die Händler ihrer Ware verzollen und vor Ort auch zum Kauf anbieten. Fernhändler brachten so z.B. Seide, Tuche, Gewürze, Seefische, Stoffe, Metalle, edle Hölzer, Werkzeuge, Farben u.a.m. in die Region. 

Ein solcher Markt war auch in sozialer Hinsicht von größter Bedeutung, denn hier wurden Nachrichten aus entfernten Gebieten ausgetauscht. Oft wurden auch kirchliche Sonderveranstaltungen gehalten. Gaukler, Wahrsager, Musi­kanten, Vorleser, Zahnbrecher und Wunderärzte sorgten für beliebte Kurzweil für das Volk. Bettler, die im Mittelalter zum Stadtbild dazu gehörten, konnten auf reichliche Almosen hoffen, denn das Geld saß bei den Stadtleuten an jenen Tagen lockerer als gewöhnlich. 

Auch den herbeiströmenden „fahrenden Leuten“ bot sich ein reiches Betätigungsfeld. Zwar war besonders die Kirche nicht gut auf das reisende Volk zu sprechen und das gemeine Volk vermutete stets kriminelle Elemente unter ihnen, so war ihr Auftritt dennoch eine willkommene Unterbrechung des Alltags. Die Obrigkeit stand besonders den wandernden Spielleuten wohlwollend gegenüber. Das Motto „Brot und Spiele“ galt nicht nur im alten Rom. Auch in vergangenen Jahrhunderten wussten die Regierenden sehr wohl, dass man den Bedürfnissen der Menschen nach Unterhaltung und Abwechslung nachgeben musste, um den sozialen Frieden zu bewahren.

Für die wandernden Spielleute und Gaukler gab es aber auch lange Wochen, in denen sie auf den Straßen umherirrten, ohne eine Bleibe und Einnahmen. Besonders im Winter waren sie auf mildtätige Herzen angewiesen.

Früher hatten die Kinder der umliegenden Dörfer, wie auch der Stadt Sayda schulfrei, wenn Jahrmarkt war, was sich sehr auf die Besucherzahlen auswirkte. Niemand blieb da daheim. In den Jahren 1859 bis 1863 haben im Schnitt 206 Händler je Markt ihre Ware angeboten. Im Sommer 1826 waren es sogar 262 Stände.

Das Jahr über fanden in Sayda regelmäßig Wochenmärkte statt. Hier wurden vorwiegend frische Nahrungsmittel (wie Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch und Milchprodukte) und andere Waren des täglichen Bedarfs angeboten. Ihre Verkaufsstände waren von einfacher Konstruktion. Sie bestanden aus zwei Holzböcken, und mehreren darüber gelegten Brettern, sodass ein Tisch entstand. Ein Leinendach schützte vor Regen und Sonne. Später gab es Buden mit zwei Läden an der vorderen Holzwand, von denen einer aufgeklappt als Verkaufstisch, der andere als Überdachung diente. Ortsansässige Handwerker präsentierten ihre Waren, in Ermangelung eines Schaufensters, vor ihrer Werkstatt auf ähnliche Weise. Ein eigenes Verkaufslokal hatten sie selten. 

Betrügerei, Wucher und andere Delikte wurden nach der Marktordnung hart bestraft. Der Rat der Stadt achtete darauf, dass der Handel ohne Zwischenfälle ablief (Sicherstellung des Marktfriedens). Beim Fischkauf war es verboten den Fisch zu berühren, tat man das doch und wurde dabei gesehen, drohte eine hohe Geldstrafe. Wenn ein Bäcker seine Brötchen zu klein backte, drohte ihm die Strafe von 5 Schilling. Für Betrug und Gaunerei gab die Höchststrafe, nämlich die Todesstrafe. Vom Fleischrat angezeigt wurden „Fleischhauer“ (Fleischer/Metzger), die altes oder faules Fleisch verkauften.

Die von Sayda 18 Kilometer entfernt, auf der böhmischen Seite liegende Stadt Katharinaberg/Hora Svate Kateriny wurde im Jahre 1528 das Stadt- und Marktrecht erlassen. Den Bewohnern wurde gestattet sich verschiedenen Handwerken zu betätigen, so zum Beispiel als Metzger, Bierbrauer, Schmied, Schuster, Tuchmacher und Bäcker. Wie in Sayda durfte wöchentlich ein Markt abgehalten werden und ein acht Tage währender Jahrmarkt, beginnend am Mittwoch nach Christi Himmelfahrt. Der Bergknappschaft wurde die Durchführung von Salzmärkten eingeräumt.

Der städtische Markt zog regionale Händler (so genannte Hausierer) an, die hier Waren einkauften, um sie wiederum in den oft weit verstreuten Dörfern anzubieten. Für die Dorfbevölkerung waren diese Händler unverzichtbar. Das zeigt schon das von ihnen angebotene Warensortiment: Eisenwaren, Nägel, Messer, Hausrat aus Zinn, Eisen oder Kupfer, Schwämme, Wagenschmiere, Mückenpulver, Stockfisch, Hering, Öl, Gewürze, Heilkräuter und vieles mehr. Umgekehrt brachten diese auch Waren aus dem dörflichen Handwerk, wie Töpferwaren und Holzschuhe, sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse, wie Eier, Gemüse und Geflügel, auf den Markt. 

Auch überregional tätige Hausierer gab es. So wird von welschen Pomeranzen– und Zitronenhändlern aus Italien berichtet, die in gebrochenem Deutsch („Kauderwelch“) ihre Waren feilboten.

„Mausfallen! Blasbälge!“ war der Ruf der Kochlöffelkrowoten“ (Kochlöffel-Kroaten), die Küchenwerkzeug, Gegenstände des täglichen Bedarfs und hölzernes Spielzeug vertrieben. Ähnlich wie die Kroaten galten die Bewohner der Slowakei zum Ende des 19. Jahrhunderts als „armes, aber betriebsames Volk“. Um ihren Lebensunterhalt aufzubessern, fertigten sie Gegenstände aus Holz und Metall an, mit denen sie in der K.u.K. Monarchie und in anderen europäischen Ländern hausierten. Rastelbinder aus den nordslowakischen Bergbaugebieten waren Spezialisten des Drahtflechtens. Sie reparierten zerbrochene Töpferwaren und schufen Gebrauchsgegenstände aus dem „eisernen Faden“. 

Es begaben sich Männer aus der bäuerlichen Schicht, Bergleute oder Handwerker auf saisonale Wanderungen, als die wachsende Bevölkerung, zunehmende Besitzzersplitterung, niedergehender Bergbau u.a. sie zwangen, sich einen Nebenerwerb zu suchen. Sie begannen zunächst mit in Heimarbeit erzeugten Artikeln zu handeln und erkannten bald, dass der Handel mit Fremderzeugnissen profitabler war, die sie auf Märkten oder direkt bei den Herstellern einkauften.

In den Dörfern gingen die Händler dann von Haus zu Haus, um dort ihre Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Auch die abgelegensten Gehöfte wurden versorgt. Wanderhändler waren ein fester Bestandteil insbesondere der ländlichen Sozialstruktur, man richtete sich auf ihr durchaus erwünschtes, oft herbeigesehntes Kommen ein. Ihr Warenangebot umfasste nämlich meist Artikel, die in ländlichen Gegenden nicht erhältlich waren und auch nicht selbst hergestellt werden konnten. Und die Hausfrauen hatten meist keine Zeit selbst auf einen Markt zu gehen. Die Bewohner der Gebirgsdörfer sehnten den Besuch der Händler aber auch aus einem anderen Grund herbei. Mit den Hausierern kamen auch Nachrichten und Informationen aus der Nachbarschaft und dem weiteren Umfeld ins Haus. 

Andererseits wurden die Hausierer, besonders jene, die ethnischen Minderheiten (z.B. Sinti und Roma, Juden oder Jenische) angehörten, mit Misstrauen betrachtet. Man unterstellte ihnen Diebstähle oder ein Auskundschaften für Diebe. Auch Betrügereien mit minderwertiger oder überteuerter Ware wurden immer wieder unterstellt. Die Bevölkerung fühlte sich durch aufdringliches Benehmen belästigt und ansässige Gewerbetreibende fürchteten die Konkurrenz durch die fremdländischen Produkte.

Deshalb war der Hausierhandel in den österreichischen Landen, zu denen Böhmen gehörte, ab 1544 verboten. Erst nach 1787 wurde das Verbot aufgehoben, soweit Händler und Waren aus dem Inland kamen. So wurde die einheimische Wirtschaft gefördert. Ausländische Produkte wurden mit Zöllen belegt. In Sachsen wurde 1767 jeglicher Handel auf den Dörfern verboten. Daran wäre die junge Spielzeugherstellung fast eingegangen, denn sie brauchten Leim, Farben, Holz etc. Der Grundherr von Schönberg und  der Heidelberger Verleger Hiemann setzten bei der Regierung, nach einigem Kampf, Sonderregeln für Seiffen und die Nachbarorte durch.

Die österreichische, wie auch die sächsische Obrigkeit hatten ebenfalls Bedenken, was die Rechtschaffenheit der umherziehenden Händler betraf. Das Hausieren konnte leicht nur einen Deckmantel für die verbotene Landstreicherei bilden, wie auch den Verkauf gestohlener Sachen erleichtern. Betrügereien konnten nicht geahndet werden, wenn die Händler spurlos verschwanden. Deshalb forderten die Behörden, dass alle Hausierer einen Wandergewerbeschein bei sich trugen, der beantragt und in kurzen Abständen immer wieder erneuert werden musste. Auf diese Weise hatte der Staat eine gewisse Kontrolle über die Umherreisenden und konnte darauf Einfluss nehmen, wer im Land wandernd handeln durfte.

Die Gewerbeordnung des Deutschen Reiches von 1869 stellte folgende Forderungen auf:

Ein Wandergewerbeschein ist demjenigen zu versagen, der „mit einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet oder wegen gewisser Delikte (Eigentums-, Sittlichkeitsvergehen, Körperverletzung, Brandstiftung, Land- oder Hausfriedensbruch, Widerstand gegen. die Staatsgewalt, Übertretung gesundheits- und veterinärpolizeilicher Maßregeln) zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Monaten verurteilt ist und seit Verbüßung derselben noch nicht 3 Jahre verflossen sind; wenn er unter Polizeiaufsicht steht oder ein notorischer Bettler, Landstreicher oder Trunkenbold ist. Der Schein ist regelmäßig zu versagen, wenn der Nachsuchende das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (außer wenn er Ernährer einer Familie und bereits 4 Jahre im Handelsgewerbe tätig ist), sodann wenn er blind, taub oder geistesschwach ist. Er kann versagt werden, wenn der Nachsuchende keinen festen Wohnsitz im Inlande hat, wenn er wegen der oben angeführten Delikte zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Woche verurteilt ist und seit Verbüßung noch nicht 5 Jahre verflossen sind; wenn er Kinder besitzt, für deren Unterhalt, bezüglich Unterrichst nicht genügend gesorgt ist. Ausgeschlossen sind vom Handel Gifte, Arzneimittel, geistige Getränke, explosive Stoffe, gebrauchte Kleider, Betten, Gold- und Silbersachen, Wertpapiere, Lotterielose etc. Dann die Ausübung der Heilkunde seitens Nichtapprobierter, die Vermittelung von Darlehns- und Rückkaufgeschäften.“ Und die Regierung stellt klar: „Die eigentliche Aufgabe des Hausierhandels im Umherziehen ist: entlegenen  Ortschaften Waren zuzuführen, die dort gar nicht oder nur zu übertrieben hohen Preisen zu haben sind, und den auf den auswärtigen Verkauf angewiesenen Produkten der Hausindustrie abgelegener Gegenden Absatz zu verschaffen. Soweit diese bei ungenügender Verkehrsentwickelung (so heute noch in gering bevölkerten Gegenden, wo ein ständiger Handel zu wenig lohnt) durch den H. erfüllt wird, leistet letzterer auch der Gesamtheit nützliche Dienste. Dagegen wird er mit steigender Kultur und Verbesserung des Transportwesens mehr und mehr entbehrlich.“

Es gab verschiedene Arten Wanderhändler. Zum einen waren es Handwerker, die Leistungen anboten (z.B. Scherenschleifer, Kesselflicker) oder eigene Erzeugnisse (z.B. Holzwaren) vertrieben. Zu dieser Gruppe zählten wohl auch Artisten, Schauspieler, Musikanten, Zigeuner, Kräuterfrauen und Wunderheiler.  Andere Händler kauften von Fabrikanten oder Kaufleuten Ware auf, um sie weiterzuverkaufen. Kaufleute bedienten sich gerne der Hausierer, um ihre Ladenhüter anzubringen. Lohnhausierer arbeiteten als eine Art Gesellen für große Geschäftshäuser. Manche Wanderhändler erhielten nur Provisionen. Daneben gab es Kommissionshausierer mit Gewinnanteil. Die Wanderhändler transportierten ihre Waren meist aus eigener Kraft, in einem Tragekorb, Quersack (siehe Bild S.24), Bauchladen, Schubkarren und Handwagen. Von einem Maulesel gezogene Karren oder Pferdefuhrwerke nutzten größere Unternehmer.  In der Zeit zunehmender Technisierung gehörten dann auch Fahrräder und Automobile zum Straßenbild.

Im 19. Jahrhundert zählten Baumwollartikel zu den umsatzstärksten Waren im Hausierhandel. Auch Leinen, Teppiche, Decken, Handschuhe, geklöppelte Spitzen, Bänder, Geschirr, optische und physikalische Instrumente, Gipsfiguren, Parfüm, Eisenwaren, Arzneimittel und kosmetische Artikel, Lebensmittel wie Zucker, Butter und Käse, Brot, Wurst, Obst und Südfrüchte, Branntwein, Schachtelhalm zum Reinigen des Zinngeschirrs und Vieles mehr wurden von Haus zu Haus verkauft. 

Auch das erzgebirgische Spielzeug wurde zunächst von Wanderhändlern aufgekauft. Später übernahmen Verleger den Vertrieb, die von den Handelshäusern und Messen in Nürnberg und Leipzig für die hiesige Heimindustrie Großaufträge herbeischafften, die Hersteller mit dem benötigten Material versorgten und ihre Arbeit oft in Naturalien entlohnten. Das bedeutete, dass die Produzenten ihre Waren gegen Produkte tauschten, die der Verleger in seinem eigenen Kramladen verkaufte.

Mit dem Ausbau des Wasserwegenetzes und der Eisenbahnlinien, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, verbesserte sich die Versorgungslage insgesamt. Neue Anbaumethoden bewirkten höhere landwirtschaftliche Erträge. Der Transport von Lebensmitteln wurde erleichtert und billiger. Man war weniger abhängig von Missernten und Kriegen. Und eine breitere Produktpalette aus dem In- und Ausland erreichte auch den erzgebirgischen Markt. Trotz der Modernisierung gaben die Wanderhändler den Hausierhandel nicht auf. Sie verlegten sich auf Klein- und Kurzwaren wie Haarspangen, Kämme und Bänder. 

Als etwa zeitgleich die Gewerbe frei wurden, öffneten in den Dörfern zahlreiche Kolonialwarengeschäfte. Als Kolonialwaren bezeichnete man früher überseeische Lebens- und Genussmittel, insbesondere Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Schokolade, Gewürze und Tee. Schnell verbreiterte sich das Sortiment. An Lebensmitteln kamen z.B. Rüböl, Schmalz, Sauerkraut, Heringe, Zwiebeln, Back- und Puddingpulver dazu, häufig auch Textilwaren, Werkzeug, Haushalts-, Kurz- und Papierwaren, Zigaretten und Zusatzdienste (Lotto- oder Wäscheannahme) angeboten. 

Zu jeder Zeit waren diese Läden, auch „Tante-Emma-Laden“ genannt, zugleich ein sozialer Treffpunkt. Hier machten die neuesten Geschichten aus der Nachbarschaft ihre Runde. Wer informiert sein wollte, erfuhr im Laden um die Ecke den neuesten Tratsch. Rechnungen wurden häufig „angeschrieben“. Man kannte sich eben.

Catrin Tolksdorf-Bilz

You are now leaving Geschichte und Traditionen in Seiffen

Geschichte und Traditionen in Seiffen provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by Geschichte und Traditionen in Seiffen, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

Sie werden weitergeleitet zu

Klicken Sie auf den Link um fortzufahren oder auf Abbruch